Zwischen Om und Amen: Ein Dominikaner auf dem Meditationskissen

Ein Dominikaner-Mönch im buddhistischen Kloster? Schwer vorstellbar. Doch Bruder Thierry-Marie Courau ist nicht nur Professor am Institut Catolique in Paris und vielgereister Autor, sondern seit vielen Jahren ein stiller Fan des Buddhismus. Matthias Luckwaldt hat ihn in Brüssel getroffen, im Rahmen der Konferenz „Power & Care

Bruder Thierry-Marie, Sie wollten schon als junger Mann Mönch werden und in den Dominikaner-Orden eintreten. Dann leisteten Sie Ihren Militärdienst bei der französischen Marine und waren in Asien stationiert. Dort kamen Ihnen Zweifel an dem Plan. Warum?

Gleich nach meinem Abschluss an der Ingenieursschule 1980 wollte ich ins Kloster gehen. Ich vertraute auf Gott und die katholische Kirche war für mich der einzige richtige Weg. Der wahre Glaube, sozusagen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es etwas anderes da draußen geben könnte. Als ich dann auf die Menschen in Pakistan, Thailand und Singapur traf, stellte ich fest, dass es scheinbar noch Alternativen gab. Plötzlich beschlich mich das Gefühl, meine Entscheidung vielmehr aus kultureller Gewohnheit und familiären Verpflichtungen heraus getroffen zu haben. Vielleicht war ich nur durch meine Kindheit konditioniert, meine Entscheidung gar nicht frei und mein Glauben weniger standfest, als ich vermutete. Ich habe den Wunsch, Mönch zu werden, also erst einmal aufgegeben. Ich ging weiterhin sonntags zur Messe, nahm aber nicht mehr an der Eucharistie-Feier teil. Ich verstand einfach nicht mehr, was da passierte.

Sie haben dann erst einmal als Bau-Ingenieur und im Finanzbereich gearbeitet, bevor Sie 1990 schließlich doch ihr Mönchsgelübde ablegten. Wann haben Sie sich danach das erste Mal intensiver mit dem Buddhismus auseinandergesetzt?

Als junger Dominikaner-Mönch habe ich mich mit den „Vier Edlen Wahrheiten“ beschäftigt. Zunächst vergeblich. Irgendwie konnte ich schwer nachvollziehen, warum das menschliche Verlangen dort als Ursache allen Leides galt, eine rein negative Bedeutung hatte. Das Verlangen gehört schließlich untrennbar zu uns allen, man müsste also konsequenterweise den ganzen Menschen töten, um es zu „besiegen“. Das ging mir nicht in den Kopf. Also entschloss ich mich, Buddhisten zu treffen, und mir das genauer erklären zu lassen. Zuerst ging ich für ein 15-tägiges Retreat in ein tibetisch-buddhistisches Kloster nach Frankreich.

Ihre spätere Doktorarbeit an der Universität von Straßburg haben Sie über einen buddhistischen Text, die drei Bhavanakrama von Kamalashila, geschrieben. Warum nicht über ein Evangelium der Bibel?

Eigentlich wollten ich überhaupt keinen Abschluss machen. Ich hatte ja bereits Ingenieurwissenschaften studiert. Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Buddhismus hat mich dennoch gereizt. Er schien mir immer noch so fremd. Außerdem wollte mein Supérieur (Abt), jemanden im Kloster haben, der sich mit Buddhismus auskannte. Daher stand gar kein Bibel-Text zur Debatte. Und schließlich wollte ich herausfinden, was das Herzstück des Buddhismus ist. Was war einem Buddhisten heilig? Ich verbrachte also viel Zeit in Bibliotheken und ging für zwei Monate nach Dharamsala, um Tibetisch zu lernen und zu erfahren, wie die Mönche dort praktizierten und welche heiligen Texte sie studierten.

Sie haben sogar ein Jahr lang in buddhistischen Gemeinschaften in elf verschiedenen Ländern verbracht. War das nicht manchmal fremd und seltsam?

Ganz im Gegenteil! Ich habe mich überall wie zuhause gefühlt. Es war ein Treffen unter Brüdern, welche Robe wir trugen, spielte keine Rolle. Meist haben wir tiefe Gespräche über unsere Traditionen geführt, manchmal bin ich aber auch auf skeptische Blicke gestoßen. In Burma fragte mich beispielsweise ein Abt, warum ich mich denn so im Detail für den Buddhismus interessiere und ob ich mit meiner Fragerei seine Schwächen ausfindig machen wolle. Zuerst war er gar nicht von dieser fixen Idee abzubringen. Nachdem ich mich dann aber auch seinen kritische Fragen gestellt hatte, gingen wir schließlich als Freunde auseinander.

Was war in diesem Jahr die bedeutsamste Lehre?

Im Shambhala Center in Vermont habe ich gelernt und immer wieder geübt, wie man den Geist von Anhaftung befreit. Das einmonatige Meditationsretreat war wundervoll aber auch nicht immer einfach für mich. Ich habe mich voll reingestürzt, intensiv 14 Stunden am Tag meditiert und sogar im Tempel geschlafen. Um zu merken, dass mich das alles etwas überfordert. Doch am Ende meiner Zeit dort verstand ich, was der Buddhismus meint, wenn er lehrt, dass alle Dinge im Fluss sind. Nach meinen anfänglichen Schwierigkeiten mit der Zweiten Edlen Wahrheit, war das eine wichtige Erkenntnis, die mir im Nachhinein sehr viel gebracht hat.

Hier in Brüssel haben sie mit der bekannten Zen-Lehrerin Roshi Joan Halifax einen Workshop über kontemplative Traditionen geben. Wie sieht Ihre tägliche Praxis aus?

Meine ganzen Aktivitäten sind auf das Wort Gottes ausgerichtet. Das Leben eines Dominikaners versinkt ganz und gar darin. Jeden Tag lesen wir in der Bibel, beten nach den Psalmen und Evangelien. Sie formen unser inneres Leben, wie Wasser einen Stein. So erfahren wir jeden Tag ein bisschen mehr, wie Gott in unserem Leben wirkt. Manchmal verstehen wir die Worte nicht, aber das ist okay, sie entfalten trotzdem ihre Wirkung.

Ist das vergleichbar mit der Koan-Praxis im Zen?

Nicht unbedingt. Koans sind eher das, was ein Knochen für einen Hund ist: Man muss im Geiste darauf herumkauen. Wenn wir Gottes Wort nicht sofort verstehen, ist es eher wie in einen Fluss zu steigen. Beides umgibt uns, aber wir spielen nicht damit, um es zu verstehen. Wenn wir neue Einsichten erlangen, wenn sich unser Herz öffnet, dann eher aus einem Akt von Gnade. Daher ist hinkt der Vergleich mit dem Koan, das ja als wirkliches Werkzeug der Geistesarbeit dient. Wenn sich das Wort Gottes in uns offenbart, führt das manchmal zu einer aktiven Handlung unserseits, oft aber auch nicht. Es bleibt dennoch in uns bestehen!

Haben Sie nach dem Studien und vielen Retreats etwas von der buddhistischen Praxis in Ihr Leben integriert?

Die Konzentrationstechnik des Shamatha ist für mich ein gutes Mittel, um den Geist zu beruhigen. Sie hilft mir, mich mehr auf mein Gebet zu konzentrieren, mich zu sensibilisieren. Im täglichen Leben fühle ich mich mit dieser Praxis irgendwie geerdet, mehr verwurzelt. Ich nutze sie auch, um mit meinem Geist zu experimentieren.

Das Christentum schaut ebenfalls auf eine lange kontemplative Tradition zurück. Theresa von Avila beispielsweise war eine große Anhängerin des inneren Gebets. Können Buddhisten etwas von der Praxis des Christentums lernen?

Ich bin nicht sicher, ob der Buddhismus wirklich Bedarf hat, von unseren meditativen Übungen zu lernen. Der Buddhismus ist schon sehr genau in dem, was er lehrt. Seine Praktiken reichen vollkommen für das aus, was er erreichen will. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass Theresa von Avila einem Buddhisten auf seinem Pfad wirklich von Nutzen sein kann. Vielleicht gibt es Ausnahmen, mag sein. Als der Buddhismus in China auf den Daosimus traf, wurde Chan daraus. Es gibt also in der Geschichte durchaus Beispiele für religiöse „Fusionen“.

Dennoch glaube ich, es ist recht kompliziert, Buddhismus zu praktizieren und gleichzeitig in die mystischen Traditionen des Christentums eintauchen zu wollen. Das dürfte nicht vielen Menschen gelingen. Natürlich kann es ein Einfluss aus weiter Ferne sein. Wenn ein buddhistischer Gelehrte die Texte von Meister Eckhard studiert, findet er sich darin ganz sicher ein Stück weit wieder. Es ist aber sicherlich ratsamer, durch andere religiöse Texte sich selbst und dem eigenen Glauben näher zu kommen als unbedingt Elemente einer anderen Tradition in die persönliche Praxis zu übernehmen. Theresa von Avila war nun mal keine Buddhistin [lacht].

Sie haben ein Buch mit dem Titel „Die Quelle der Erleuchtung“ geschrieben. Was steckt dahinter?

Es ist ein Roman, den ich letztes Jahr herausgebracht habe. Er handelt von dem Franzosen Jo und einer tibetischen Nonne. Ihr Treffen am Fuße des Himalaya wird zur wahren Erleuchtung für den jungen Mann, weil er mit ihrer Hilfe seinen eigenen christlichen Glauben auf ganz neue Weise wiederentdeckt.

Wollen Sie selbst weiterhin ab und zu auf buddhistischen Pfaden wandeln?

Unbedingt! Bis heute habe ich nur einen kleinen Bruchteil kennengelernt. Als nächstes werde ich mich mit den chinesischen Traditionen und Schriften auseinandersetzen. Ich möchte über die Religion endlich besser verstehen, wie die Chinesen denken und fühlen.

Das Interview zwischen Thierry-Marie Courau und Matthias Luckwaldt erschien zuerst in der Zeitschrift „Buddhismus Aktuell“.

Foto: privat

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