Ein beißender Schweißgeruch liegt in der Luft, wenn sich dutzende Menschen in einem 40 Grad heißen Raum durch 26 anstrengende Yoga-Übungen quälen. Manch einem wird schwarz vor Augen, wer zusammenbricht, wird hinausgetragen und mit Kühlbeuteln bedeckt. Jeder hat literweise Wasser dabei. Die erste Stunde sei die schlimmste, sagen viele – und kommen doch immer wieder. Wer die 90 Minuten hinter sich gebracht hat, kann wahrlich stolz auf sich sein.
Doch nicht nur das: Selbst wenn man sich unmittelbar nach der Stunde ziemlich geschafft fühlt, wenig später stellen sich Glücksgefühle der besonders intensiven Art ein und schon nach wenigen Wochen erhöht sich die allgemeine Fitness, das allgemeine Wohlbefinden, die Gesundheit. Das ist das Konzept von Bikram Yoga. „Ohne Hölle kein Himmel“ sagt Erfinder und Namensgeber Bikram Choudhury dazu. Klingt auf den ersten Blick nicht nach jedermanns Sache, aber Hot Yoga gehört mittlerweile zu den populärsten Yoga-Stilen weltweit.
Der Guru polarisiert
Oft unterrichtet er nur mit einer schwarzen Badehose, einem schwarzen Stirnband und einer luxuriösen und funkelnden Uhr bekleidet. Bikram bringt Entertainment in den klassischen Yoga-Unterricht. An seine anzüglichen und respektlosen Sprüche sollte man sich gewöhnen, wenn man von ihm unterrichtet werden will. Alles Teil der Show und von daher wahrscheinlich auch nicht zu Ernst zu nehmen.
Von seinem Thron im Übungsraum aus ruft er so etwas wie „Hey, Miss Big Boobs, zieh dir morgen bloß etwas anderes an, bitte, ich hab Angst, dass deine Möpse rausfallen“ (Zitat: „Der Spiegel”) nur um im nächsten Satz ernsthaft und überzeugend die immensen Heilkräfte seines Hot Yoga anzupreisen. Seine eindrucksvolle Erscheinung scheint diese Behauptung zu beweisen: breites Kreuz, durchtrainierter Körper, dünne Waden – seine 66 Jahre sieht man Bikram Choudhury jedenfalls nicht an. Er behauptet steif und fest, er sei der einzige Guru, der echtes und pures Hatha Yoga unterrichte.
Bikrams Jugend
Bikram Choudhury wurde am 10. Februar 1946 in Kalkutta geboren. Der Vater war Buchhalter, die Mutter Hausfrau. Im zarten Alter von vier Jahren begann er mit Hatha Yoga und wurde kurz darauf Schüler von Bishnu Gosh (jüngerer Bruder von Paramahansa Yogananda, dem Autor von „Autobiography of a Yogi“), der damals zu den renommiertesten Yogalehrern Indiens gehörte. In Goshs College Of Physical Education in Kalkutta übte Bikram täglich vier bis sechs Stunden Yoga.
Mit 13 Jahren gewann er erstmals die Nationalen Yoga-Meisterschaften Indiens und verteidigte den Titel für weitere drei Jahre. Der berühmte Yoga-Meister Swami Shivananda bezeichnete den 14-Jährigen als „Yogi Raj“, was übersetzt „König der Yogis“ heißt.
Mit 17 Jahren fiel dem jungen Yoga-Supertalent eine 172 kg schwere Hantel auf das Knie. Die Ärzte prophezeiten ihm, dass er nie wieder laufen können werde. Nach dieser düsteren Aussicht wandte sich Bikram an seinen Lehrer Gosh, mit dessen Hilfe er innerhalb von nur sechs Monaten wieder gesund wurde.
1970 schickte Gosh seinen Schüler nach Japan, um dort eine Yoga-Schule zu eröffnen. Dort kam Bikram Choudhury auf die Idee, in heißen Räumen zu unterrichten. Die Hitze macht den Körper geschmeidiger und flexibler, sodass die oft schwierigen Übungen leichter zu bewältigen sind.
Yoga goes Hollywood
Es heißt, dass Bikram, als er in Hawaii unterrichtete, auf Präsident Nixon traf und dessen fortgeschrittene Venenentzündung im linken Bein heilen konnte. Laut eigenen Angaben durch sieben Anwendungen mit Bittersalz in der Badewanne. Nixon war angeblich so dankbar, dass er seinem Wohltäter eine Greencard schenkte. Dies öffnete Choudhury die Tür zur Neuen Welt: 1972 eröffnete er seine erste Yoga-Schule in San Francisco. 1973 zog er nach Los Angeles, wo er noch heute mit seiner 20 Jahre jüngeren Frau Rajashree und zwei Kindern lebt. Auch Rajashree gewann die indischen Yoga-Meisterschaften mehrmals in Folge: von 1979 bis 1983.
Bikram Inc. – Yoga als Marke
Die von ihm entwickelte Serie von 26 Asanas ließ Choudhury in Kalifornien durch ein Copyright schützen. Wer Bikram-Yoga unterrichten will, muss einmalig $10.000 für die Lizenz bezahlen, weitere $500 jeden Monat. Die Ausbildung erfolgt nur durch den Meister persönlich und kostet etwa 10.000 weitere Dollar. Kritiker werfen ihm oft vor, Hatha Yoga sei nicht Bikram Choudhurys geistiges Eigentum, sondern 5000 Jahre alte indische Nationalweisheit. „Es sind nicht meine Noten, aber es ist meine Melodie“ – mit dieser Ansicht hat Choudhury bislang jeden Prozess gewonnen.
Auf seiner Homepage verkauft er seine Bücher über Bikram Yoga, CDs mit Übungsanweisungen und selbst eingesungener Musik, Yoga-Bekleidung der Marke Bikram (die ziemlich knapp und aufreizend ausfällt und auch im Tiger-Look erhältlich ist), Schmuck, Uhren, Wasserflaschen und Sport-Drinks.
Dass er ziemlich viel Geld mit Yoga verdient, verheimlicht der Guru auch nicht: Seine Sammlung von Rolls-Royce und Bentley beläuft sich auf über 40 Wagen, über 100 Luxus-Uhren befinden sich in seinem Besitz. Er lebt in einer riesigen Villa mit Swimming Pool in Beverly Hills, sagt aber auch, dass Besitz nicht von wert sei, wenn man einen kaputten Körper und eine kaputte Seele habe. Daher hält der Guru die Verbreitung von Yoga im konsumorientierten Amerika für besonders wichtig. Anfangs unterrichtete er sogar kostenlos, bis die Schauspielerin und Yoga-Liebhaberin Shirley MacLaine ihm sagte, er müsse schon Geld für seine Stunden verlangen, um zu zeigen, dass diese etwas wert seien.
Prominente Anhänger
Unter Bikrams Fans befinden sich so illustre Namen wie Bill Clinton, David Beckham, Michael Jackson, Quincy Jones, John McEnroe und Goldie Hawn. Angeblich hat Choudhury während seiner Zeit in Japan auch Kakuei Tanaka, den späteren japanischen Premierminister, von einer zerebralen Thrombose befreit. Es ist schwer einzuschätzen, welche von Bikrams Geschichten wirklich wahr sind. Auf jeden Fall machen sie den Guru interessant und lebendig. Sie könnten stimmen. Glaube versetzt Berge …
Den Ablauf der Übungen hat Bikram Choudhury so aufgebaut, dass alle Muskeln und Sehnen des Körpers in einer bestimmten Reihenfolge aufgewärmt, gedehnt und gestärkt werden. Die hohen Temperaturen regen die Fettverbrennung an und machen den Körper flexibler. Der gesamte Organismus wird außerdem mit sauerstoffreichem Blut versorgt. Hot Yoga soll Asthma und Diabetes Typ-2 heilen, außerdem Arthritis, Hepatitis C, Tinnitus, Krebs, psychische Probleme – ein wahres Allheilmittel. Der Guru kann dies glaubhaft vermitteln, da er mit 17 Jahren die unglaublichen Wirkungen des Yoga am eigenen Leib erfuhr. Und mit 66 Jahren immer noch einen regelrechten Adonis-Körper und einen wachen Verstand vorzeigen kann.
Die Erfolgsgeschichte geht weiter
Mittlerweile gibt es über 600 Hot Yoga-Studios auf der ganzen Welt. Täglich wächst die bereits riesige Anhängerschaft des Gurus, obwohl Bikram Choudhury selbst seine heiße Schule als „Folterkammer“ bezeichnet. Kein Vorwissen ist nötig, um an einer Stunde teilzunehmen, es gibt keinerlei religiöse oder spirituelle Ansätze. In der 90-minütigen Sequenz werden immer die gleichen 26 Übungen in der gleichen Reihenfolge absolviert, was eine sehr meditative Wirkung hat. Zudem beruhigen feste Gewohnheiten und geben Halt im Alltag. Kein unnötiger Schnickschnack, nur die regelmäßige und intensive körperliche Betätigung sollen den Weg zur Erleuchtung ebnen.
Bikram zeigt jedem seine Schwächen auf: In jedem Übungsraum befindet sich eine verspiegelte Wand, damit die Schüler mit sich selbst und ihren Fehlern konfrontiert werden. Er nennt dies den „kosmischen Spiegel“. Laut Bikram bringt keine Stellung ihren vollen Nutzen, wenn sie nicht zu 100 Prozent korrekt ausgeführt wird, weshalb er laut seiner Homepage „nicht ruht, bis du dein Bestes erreichst“.
Seinen Schülern gibt er außerdem mit: „Am Ende dieses Seminars fahrt ihr nach Hause, rettet die Welt und verdient viel Geld – das ist mein Befehl.” Er selbst ist der lebende Beweis, dass dies mit Hilfe von Bikram Yoga möglich ist.
Mit den traditionellen weisen, ausgeglichenen und erleuchteten Yoga-Gurus scheint Bikram Choudhury wenig gemein zu haben. Doch vielleicht ist es gerade diese einzigartige Mischung, die Bikram Yoga so erfolgreich macht: Ein jahrtausendealtes Gesundheitssystem trifft auf die modernen Vorstellungen von Fitness und Schönheit, Geschichten von wundersamen Heilungen treffen auf Glamour und Reichtum. Der oft ordinär herumalbernde, etwas unnahbare und doch immer überzeugende Yoga-Entertainer scheint für viele sehr viel mehr als Idol zu taugen als ein fehlerloser Asket.
Update: Bikram Choudhury: Ein Guru wird entzaubert – und gesucht!
In den Jahren seid diese Kurzbiografie entstand, hat die Kritik am Begründer des Bikram-Yoga vor allem hinsichtlich seines (Fehl-)Verhaltens gegenüber weiblichen Yogatrainern – während der jährlichen Ausbildungscamps und drüber hinaus an medialer Lautstärke und Beweisfülle stark zugenommen. Ein Bankrott und Schulden von geschätzten 16 Millionen Dollar kommen außerdem als heißes Thema hinzu. Daher halten wir es für unsere Pflicht, in diesem Update des ursprünglichen Beitrages einige Links aus der Berichterstattung zusammenzustellen, die jedem Leser die Möglichkeit geben, sich sein eigenes Bild zu machen.
Trotz bester Erfahrungen mit der Übungsfolge, die auf Bikrams Engagement beruht, sind die geäußerten Vorwürfe und juristischen Konsequenzen daraus keinesfalls unter die Yogamatte zu kehren. Hier die in unseren Augen prägnantesten Storys zum tiefen Fall eines „Yoga-Gurus“, fast alle aus internationalen, englischsprachigen Medien, weil deren Recherchen des Falles die direkten Quellen darstellen und deutsche Artikel diese nur in Auszügen zitieren oder nur gekürzt bzw. übersetzt haben:
- Bikram Choudhury: Cops Hunt For Hot Yoga Founder After Judge Issues An $8M Arrest Warrant (Inquisitr.com)
- Bikram yoga’s moral dilemma (ESPN)
- “Bikram” and the Fraught, Telling Tale of a Yoga Phenomenon (The New Yorker)
- 30 for 30: Bikram (Podcast)
- Yoga-Guru erzeugte Kultur der Angst (FAZ)
- After uncle Bikram’s disgrace, his yogini niece in hot water (Mumbai Mirror)
- Bikram Feels the Heat (Vanity Fair)
Update: Netflix-Doku über „Bikram: Yogi, Guru, Predator“
Aktuell ist auf Netflix ein Dokumentarfilm zu sehen (Regie: Eva Orner, Prdouzent: Kimberley Hassett), die den sagenhaften Aufstieg und dramatischen Fall von Hollywoods liebstem Yogi, Bikram Choudhury, nachvollzieht. Mit vielen Zeitzeugen und teils bisher unveröffentlichtem Material.