Ich liebe es. Ich liebe meinen Job. Love it. LUV! Ich liebe diese Tasche, dieses Smartphone, dieses Hotel … Herz-Emoji. Wow, wie inflationär wir den Begriff für das wichtigste Gefühl gebrauchen, zu dem wir fähig sind. Das uns einander als Menschen erkennen lässt, unser Leben biologisch möglich und seelisch erträglich macht.
Ich habe über die Leichtfertigkeit eines „Ich liebe …“ nie so recht nachgedacht, bis eine Kollegin mich vor Wochen darauf stieß. Für eine Story stellte ich gerade eine Liste von „Dingen, die wir lieben“ zusammen. Sie war alles andere als begeistert: „Ich finde, wir sollten langsam wieder mehr nachdenken, ehe wir dieses Wort benutzen. Ich liebe diese Schuhe. Wirklich?“ Ob es nicht um mehr ginge, fragte sie sich. Größere Bedeutung, tiefe Emotion, eine unzertrennliche Verbindung.
Wann immer man über Liebe spricht, über Frieden, über Gerechtigkeit, Wünsche für eine bessere Welt, wird uns unser hoher Anspruch zum Verhängnis. Bremst eigener Perfektionismus uns aus. Mich auch, immer wieder. Wir glauben, jemanden nicht lieben zu können, weil er oder sie eben Fehler hat, dunkle Seiten, nervige Angewohnheiten. Wir boykottieren Weltkonzerne nicht, weil wir uns gegenüber ihrer scheinbaren Allmacht wie Vegan-Würstchen fühlen. Es nützt ja doch nichts. Wir demonstrieren nicht, weil … Ach, das Wetter ist richtig mies heute. Und hassen uns selbst dafür.
Selbstliebe. Noch so sein heikles Thema. Ein Autor sagte mir kürzlich, Selbstliebe lerne man nicht allein, sondern im Lieben anderer Menschen. Seines Partners, seiner Eltern, Kinder, seines Hundes. Das machte mich stutzig, denn heißt es nicht immer: Nur wer sich selbst liebt, kann andere lieben. Dieser Autor aber entgegnete: „Ich werde mich vermutlich nie vollends lieben, dafür weiß ich zu viel über mich.“ Dann müsse er ja warten, bis er 90 und voller Selbstakzeptanz sei, um eine erste Beziehung zu wagen.
Wir müssen also mit einer unperfekten Welt leben. Auch in unserem Liebesleben. Doch können wir Liebe überhaupt noch genau definieren, ihre Bedeutung greifen, sind wir mit diesem Gefühl in unserer Körpermitte, das uns von dort wohlig warm durchströmt, überhaupt in Verbindung? Oder haben Werbung, Facebook-Herzen und dahingesagte „I love yous“ uns in eine Parallelwelt gelockt, in der Liebe bloß noch eine digitale Floskel ist. Der überdreht kieksende Aufschrei von zwei Hipstern, darüber, dass sie den letzten glutenfreien Cupcake in der Café-Vitrine ergattert haben. Love it. High
five.
Wie viele Menschen können wir überhaupt echt und aufrichtig lieben? Ihnen unsere ganze Aufmerksamkeit schenken, unser Ohr leihen und ihnen die Tränen trocknen. Ihnen unser Herz öffnen, zeigen, wer wir sind. Ich kenne Ihre Energiereserven nicht, aber ich vermute, dass es nicht die Hunderte von Freunden sind, die wir wie manisch zusammengeraffte Karteileichen auf diversen sozialen Kanälen mit uns herumschleppen. Und denen wir manchmal ein bedeutungsloses „Ich liebe euch“ zuhauchen. Ich mag dich. Mir gefällt das. Du siehst toll aus. Was du machst, bewundere ich.
Werden wir stattdessen doch mal konkret, erweitern wir unser Vokabular. Dann klingt selbst Smalltalk nicht länger wie die Reklame eines Burgerbräters, dessen „I’m lovin’ it“ uns alle eher den Magen umdrehen sollte. Liebe ist kein Klick, keine Reflexantwort, kein Pixelhäuflein. Liebe ist. Alles.
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