Gretchen Rubin: Interview mit einer Glücksbotin

Gretchen Rubin, mit Ihrem Bestseller „Das Happiness-Projekt“ wurden Sie weltweit zur Glücksexpertin. Holen sich auch Fremde auf der Straße bei Ihnen Tipps?
Nicht gerade an der Kasse im Supermarkt, aber ja, in Interviews oder E-Mails werde ich schon oft nach meinen geheimen Strategien für mehr Glück und Zufriedenheit gefragt. Und auch bei Lesungen oder etwa via Facebook wollen die Menschen Ratschläge von mir. Ich muss sagen, ich werde eigentlich selten müde, über Glück zu sprechen. Vielleicht auch, weil ich selbst natürlich längst nicht alles weiß, mich nur mutmaßlich etwas mehr als andere damit beschäftigt habe und dieses Wissen einfach gern weitergebe.

Sie haben Jura studiert und danach für die US-Verfassungsrichterin Sandra Day O’Connor gearbeitet. Wann wussten Sie, dass Ihr Weg nicht in den Gerichtssaal, sondern in die Schriftstellerei führt?
Ich habe Jura einfach aus ganz vielen falschen Beweggründen heraus studiert, und nach dem Studium gemerkt, eigentlich nie Anwältin sein zu wollen. Recherchieren macht mir Spaß, ich schreibe gern und ich dachte einfach, das wäre eine ideale Basis für das Studium. Und mit einem Juraabschluss könnte ich schließlich in sehr viele Richtungen gehen und würde mir somit alle Optionen offenhalten. Als ich dann als Assistentin für Richterin Sandra Day O’Connor am US-Verfassungsgericht, dem Supreme Court, arbeitete, begann ich eines meiner gigantischen Rechercheprojekte. Die starte ich gern und regelmäßig, immer schon. Und plötzlich kam mir der Gedanke, dass diese ganz intensive Recherchearbeit vermutlich der entspricht, die ein Autor betreibt, bevor er ein Buch schreibt. Und mehr und mehr kam mir der Gedanke, ich könnte Schreiben zum Beruf machen. Als mein Mann dann einen Job in New York annahm und wir Hals über Kopf dorthin zogen, war der Moment gekommen, meinen Wunsch wahr werden zu lassen. nicht nur, dass ich schreiben wollte, ich hatte auch schon ein ganz konkretes Buch vor Augen und vorbereitet. Der Start fiel mir also leicht, denn ich war gewappnet – für „Power Money Fame Sex: a User’s Guide“. Eine nicht immer ganz ernst gemeinte Aufarbeitung meiner Erfahrungen im Berufsleben bis dahin. Ein Riesenspaß für mich!

Wie sehr hängt das individuelle Glück eigentlich von der erlebten Gerechtigkeit in einer Gesellschaft ab?
Das bedingt sich definitiv gegenseitig. Was mich am meisten beeindruckt hat in meiner Arbeit für die Richterin am obersten Gerichtshof, ist die Tatsache, dass man sicherlich mit den politischen Visionen der dort sitzenden Richter nicht übereinstimmen kann, vielleicht sogar zornig widersprechen möchte. Es ist jedoch keinesfalls so, dass irgendjemand dort seinen Job auf die leichte Schulter nimmt und keine genaue Vorstellung hat, wie die zukünftige Gesellschaft der USA geregelt sein müsste oder könnte und welche Weichenstellungen dafür sinnvoll sind. Es ist definitiv nicht meine Erfahrung, dass es dort, wie manche Zyniker behaupten, rein um Parteipolitik und ja fast schon gewissenlose Formung der Zukunft geht. Alle setzen sich dort in ihrem Einflussbereich für eine gerechtere Gesellschaft ein – nach bestem Wissen und Gewissen, nur 80 Prozent Leistung gibt dort niemand. In diesem Umfeld auch eine winzige Rolle zu spielen, hat mich sehr bereichert.

Wie können wir unsere innere Sehnsucht nach Glück mit Äusseren Faktoren versöhnen, die dem entgegenwirken – und die wir kaum kontrollieren können?
Das ist ein ständiger Kampf im Themenbereich Glück. Und natürlich gibt es Lebensumstände, in denen Zufriedenheit und Glück definitiv nicht oberste Priorität haben, geradezu unerreichbar scheinen. Viel wichtiger ist für mich deshalb die Frage, ob ich in meiner momentanen Situation – deren Veränderung ich vielleicht wirklich nicht selbst in der Hand habe, generell oder vorübergehend – so glücklich bin, wie ich es eben sein kann mit den gegebenen Restriktionen. das scheint mir erstrebenswerter/sinnvoller zu sein, als irgendwelchen idealen oder Märchenschlössern hinterherzurennen und dadurch natürlich ständig Frustration zu spüren. Und damit wir uns richtig verstehen: ich bin keinesfalls der Überzeugung, dass negative Emotionen wie berechtigter Ärger, Langeweile, Schuld und Enttäuschung in unserem leben keinen Platz haben. Die Aufgabe ist dann eher, diese negativen Empfindungen Stück für Stück in positive oder zumindest proaktive Aktionen zu transformieren. Und auch für sich selbst zu hinterfragen, statt sich ihnen hemmungslos und ohne eine mentale Rückkopplung oder Kontrolle hinzugeben. Der Einfluss, den andere Menschen, die Familie, Institutionen, unsere Genetik, ja vielleicht sogar das Wetter auf unsere Stimmungslagen und unsere Fähigkeit, Glück zu erleben, haben, kann gar nicht überschätzt werden. Und doch sind wir es uns selbst schuldig, uns nicht völlig das Zepter aus der Hand nehmen zu lassen, denn davon hat wirklich niemand etwas.

Was löst in Ihnen negative Gefühle aus?
Für mich sind negative Kommentare auf meinem Blog oder nicht nur kritische, sondern gemeine E-Mails das Schlimmste, die belasten mich emotional sehr. Ich muss dann auf mein ganzes Arsenal erlernter Tricks zurückgreifen, um mich zur Räson zu bringen und wieder aufzubauen. Ich habe aber in den letzten Jahre in diesem Bereich wirklich viel gelernt. heute habe ich mich bei negativen Empfindungen etwas besser unter Kontrolle beziehungsweise steuere rechtzeitig gegen, so dass es gar nicht zu Tiefs oder Ärger kommt.

Mich beschleicht manchmal das Gefühl, das Glück die neue It-Handtasche ist, ein Hobby für die, die alles haben. Und das setzt gerade die unter Druck, die glücklichere Tage dringend brauchen.
Da würde ich doch gern die Gegenfrage stellen: Was sollen die Menschen, die einen bestimmten Grad an Wohlstand erreicht haben, denn stattdessen tun – ein weiteres Auto kaufen? Wenn materielle Bedürfnisse gestillt sind und eine gewisse ökonomische Sicherheit vorherrscht, folgt natürlich die Suche nach neuen Werten, nach dingen, die man nicht mit einer Kreditkarte bezahlen kann. Man prüft die Beziehungen zu den wichtigsten Menschen im leben, hinterfragt den Sinn seiner Arbeit. Und ich kann daran beim besten Willen nichts Schlechtes erkennen. Ich finde auch nicht, dass es wirklich ein akutes Problem ist, dass sich Menschen zu viel darum bemühen, glücklicher zu werden. Ich glaube eher, das Gegenteil ist der Fall. Das war auch bei mir so, ehe ich mich intensiver damit beschäftigt habe. Ich war mit meinem Alltag, meinem Beruf und meiner Familie vollauf beschäftigt und dachte, eigentlich gar keinen Raum zu haben, um über Glück nachzudenken.

In einem Artikel der „New York Times“, der zeitgleich mit ihrem Buch „Das Happiness-Projekt“ erschien, wird thematisiert, dass Ihre Arbeit als Autorin zum Teil durch Ihre vermögende Familie unterstützt wurde. Ihr Vater Robert Rubin war Finanzminister unter Clinton und berät jetzt Obama, Ihr Mann ist ein Hedgefonds-Manager. Was entgegnen Sie Lesern, die auf Ihre Glücksbotschaften mit „die hat leicht reden“ reagieren?
Dazu kann ich nur sagen, dass ich natürlich von meinen eigenen Erfahrungen in meinem Leben berichte, ich lasse die Menschen an meiner Recherche teilhaben und verheimliche dabei ja nicht meine persönliche Situation. Das ist im Zeitalter von Google auch eine ziemlich vergebliche Bemühung. Und dann erscheint am Schluss ein Buch, und entweder es spricht den Leser individuell an oder nicht. Man könnte es aber auch so betrachten, dass ich meine recht komfortablen Lebensumstände nutze, um mich intensiv mit Themen wie Glück, Zufriedenheit und den Schwierigkeiten, neue Gewohnheiten zu etablieren, die das Leben besser machen, zu beschäftigen.

GretchenRubin_ErfindeDichNeu

Ihr neues Buch heisst „Erfinde Dich Neu: Verändere deine Verhaltensmuster und werde glücklicher, produktiver und besser als je zuvor“. Zur Vorbereitung auf unser Gespräch habe ich auf Ihrer Website einen Einstufungstest gemacht. Er unterscheidet „Bewahrer“, „Gefaller“, „Rebellen“ und „Hinterfrager“. Ich bin ein „Gefaller“, der Erwartungen erfüllt und eigene Bedürfnisse vernachlässigt. Klingt sympathisch – und etwas traurig.
Es geht nicht so sehr darum, dass der eine Typus besser oder schlechter im leben zurechtkommt als der andere, sondern darum, zu wissen, wie man die eigenen positiven und negativen Tendenzen, die im Charakter angelegt sind, so ausbalanciert, dass man sich nicht selbst blockiert oder sabotiert. Da sind Sie als ein „Gefaller“ eigentlich sehr gut dran, denn bei Ihnen reicht in den meisten Fällen schon ein gewisser Druck von außen, um Sie an Ihre positiven Pläne und Projekte zu erinnern, die Ihnen selbst mehr Freude machen. Erzählen Sie Freunden auf Facebook von Ihrem neuen Buch, an dem Sie arbeiten. Versprechen Sie einem Familienmitglied, zehn Kilo abzunehmen.
Ich selbst bin beispielsweise ein „Bewahrer“. Da ist es sehr viel schwieriger, denn ich versuche, gleichzeitig meinen inneren und äußeren Erwartungen Folge zu leisten, und das führt zu einem großen Maß an Härte und einer starken Kontrollfunktion. Als „Gefaller“ kommen Sie auch am besten mit den drei anderen Typen aus, während ein „Bewahrer“ und ein „Rebell“ zum Beispiel eine katastrophale Paarung sind, vor allem im Kontext eines Jobs oder einer Abteilung. Wenn’s Ärger gibt, spuren „Bewahrer“. Die „Hinterfrager“ brauchen immer einen Sinn und das Gefühl, eine Aufgabe entspreche ihrem Standard. Sie erfüllen keine Neujahrsvorsätze, weil sie den 1. Januar für ein willkürliches Datum halten. Oder nehmen Vitamine nicht, weil sie Ihrem Arzt nicht glauben – als „Bewahrer“ würde ich sie nehmen, weil ich meinem Arzt gefallen möchte.

Was sind einige der faszinierendsten wissenschaftlichen Fakten rund um unsere Gewohnheiten, über die Sie bei Ihrer Recherche gestolpert sind?
Die bahnbrechenden Erkenntnisse zweier Wissenschaftler habe ich auch gleich im Vorwort des Buches notiert. Sie studierten die Verhaltensmuster extrem erfolgreicher Menschen und fanden dabei heraus, dass diese alle ihre positiven Aktionen – ob für die Karriere oder für ihre körperliche Ertüchtigung – in automatisch ablaufende Gewohnheiten umgemünzt haben und der Alltag ihnen somit keinen Deut an Willensstärke abverlangt. Sie konnten ihre ganze Kraft in konstruktive Projekte einbringen und waren nicht schon beim morgendlichen ringen mit sich selbst, dann doch ins Fitnessstudio zu gehen, völlig erschöpft. denn unsere Selbstbeherrschung und Willenskraft sind vielleicht zwei der begrenztesten Ressourcen, die wir besitzen. Diese möglichst zu schonen und nicht auf Banalitäten des Alltags oder die Wahl des Mittagsessens zu verschwenden, das war für mich eine wirklich erhellende Information.

Welche neuen guten Gewohnheiten haben Sie selbst bei Ihrer Arbeit an dem Buch gleich kultivieren können?
Oh, ich habe etliche neue Gewohnheiten etabliert oder zumindest zu etablieren versucht. Eine davon erfülle ich, während wir sprechen, denn da ich als Autorin den Tag über viel sitze, habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht, bei Telefonaten generell aufzustehen und in meinem wirklich winzigen Büro in unserem Apartment auf und ab zu gehen wie ein Tiger in einem sehr engen Käfig. Das tue ich jetzt auch.

Welche schlechten Angewohnheit würden Sie gern abstreifen?
Ich würde gern Anrufbeantworter abhören können, irgendwie sträube ich mich dagegen, vielleicht weil ich immer denke, dass etwas auf mich zukommt, ich irgendetwas tun muss oder so, vielleicht ist es auch einfach Aberglaube. Ich versuche schon immer, meinem Mann Zettel auf den Hörer zu kleben, damit er es macht, aber er ignoriert die dann einfach und so muss ich es schlussendlich doch tun. Äußerst widerwillig, da würde ich mir mehr Gelassenheit wünschen.

Gretchen Rubin, viel Erfolg für „Erfinde Dich Neu“ und Ihren neuen Podcast, den sie mit Ihrer Schwester gestartet haben. Wie kam es zu diesem Radioprojekt?
Meine Schwester Elizabeth Craft ist Autorin und Produzentin fürs Fernsehen und lebt in Los Angeles. Wir wollten schon seit Jahren eine Radioshow oder einen Youtube-Kanal haben und jetzt kam ein Podcast-Network (Panoply) auf uns zu und wir sagten „Yes“! Meine Schwester kommt eh in allen meinen Büchern vor, im neuen aber mehr als bisher. Einige der wöchentlichen Episoden von „Happier with Gretchen Rubin“ sind schon aufgezeichnet und wir beantworten immer eine Frage von Lesern/Hörern pro Folge, neben unseren eigenen Ideen und Gesprächen natürlich.

Gretchen Rubin wurde in Kansas City, Missouri, geboren und lebt heute mit ihrem Mann und zwei Töchtern in New York. Ihre Bücher „Das Happiness-Projekt“, der Nachfolger „Happier at Home“ und „Erfinde Dich Neu“ sind alle Bestseller mit einer Gesamtausgabe von über zwei Millionen verkaufter Exemplare in 30 Sprachen. In ihrem neuen Podcast diskutiert Rubin jede Woche mit ihrer Schwester und wechselnden Gästen gute Gewohnheiten und Wege zum Glück. Weitere Infos und einen sehr lesenswerten Blog finden Sie auf www.gretchenrubin.com.

Fotos: Elena Seibert; CBX Verlag

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