„Drück mich. Ganz fest. Für Geld.“: Kuscheln auf Abruf

Wir tragen Hightech in der Hosentasche, himmeln Silicon Valley und seine tollkühnen Gründer an und sehen einander vor lauter Bildschirmen nicht mehr. Unsere Grundbedürfnisse haben sich aber seit der Ära von Mammut und Säbelzahntiger kaum verändert: Zeit, Nähe, Berührung. Die Folge: Kuscheln wird zum Service, wie unser Autor R. Tod Kelly erfuhr

Geht es dir gut?“, fragt die attraktive junge Frau, die auf mir liegt. „Willst du es weiter auf diese Art machen oder die Position wechseln?“ „Ja, lass uns wechseln“, antwortete ich. Vielleicht ein wenig zu hastig, um noch freundlich zu klingen. Aber ich wollte wirklich schon eine ganze Weile anders liegen. Wirklich!

An dieser Stelle sollte ich vielleicht erklären, dass die Frau auf mir, deren Name Sam lautet, vollständig bekleidet ist und wir keineswegs Sex haben. Sam ist eine professionelle Kuschlerin, was eben kein abgelehnter Martina-Hill-Sketch für „Knallerfrauen“ ist, sondern eine echte Aufgabe. Für rund 100 Euro pro Stunde berühren professionelle Kuschler ihre Kunden. Auf, wie sie betonen, komplett platonische Weise. Manchmal auf einer Couch, gelegentlich auf einem Teppich, meist jedoch auf einem Bett. Wie ein professioneller Escort-Service, dessen Dame oder Herr Sie aber in die „Freunde-Zone“ verbannt hat. Wie eine ausgedehnte post-koitale Umarmung ohne lästigen Geschlechtsverkehr vorweg. Löffelchen ohne f*cken, wenn Sie so wollen.

Kuschelparty für alle

Seitdem ich davon hörte, dass es eine aufstrebende Kuschel-Industrie gibt, wusste ich: Darüber musst du schreiben. Ich sprach also mit einer ganzen Reihe professioneller (Be-)Kuschler und ihren Kunden; ich fuhr sogar zur CuddleCon, der ersten Kuschel-Messe der Welt. Jeder, mit dem ich mich unterhielt, sagte mir dabei das Gleiche: Solange ich es nicht selbst versuchte, würde ich professionelles Kuscheln nie begreifen. Zunächst blockte ich bei dieser Idee innerlich ab. Jemandem 100 Euro dafür zu zahlen, dass er sich an mich schmiegt, erschien mir recht kostspielig für eine leidlich komfortabel verbrachte Stunde. Ich merkte auch, dass mein männliches Ego auf eine moderne, 21. Jahrhundert-Version archaischer Barrikaden ging und sich mächtig sträubte: Ich hatte es einfach nicht nötig, eine hübsche Frau dafür zu bezahlen, dass sie keinen Sex mit mir hatte. Ich war erfolgreich und gutaussehend genug, um gratis nicht mit ihr zu schlafen. Herzlichen Dank auch.

Trotzdem hatten die Profi-Kuschler und ihre „Patienten“ in einem Punkt absolut recht: Je mehr ich über ihre Welt als ein objektiver Beobachter erfuhr, desto weniger kapierte ich das Wie und Warum. Und so schluckte ich schließlich widerwillig meinen Stolz herunter, machte einen Termin und begann zu überlegen, wie ich das meiner Frau erklären sollte.

Bitte nur kuscheln!

„Auf welche Position hast du jetzt Lust?“ Sam liegt immer noch auf mir, als sie mich das fragt. In einer Position, die sich Seestern nennt. Ich liege dabei bäuchlings auf Sams Bett, mein Gesicht in ein Kissen gedrückt. Sam liegt direkt auf mir, ihre Brust gegen meinen Rücken gepresst, ihre Arme und Beine exakt auf meinen. Keine leichte Übung, so auf einem Bett zu liegen, in gleichsam intimer wie platonischer Berührung – und nicht eine Sekunde an Sex zu denken. Denn beim Seestern unten zu liegen, das fühlt sich für mich so an: Sam hat sich beim rein hypothetisch vorangegangenen Akt alles von mir geholt, was sie braucht, hat das Gelobte Land eines Orgasmus aber vor mir erreicht und ist danach einfach auf mir eingepennt, ohne sich die Mühe zu machen, sich herunterzurollen. „In diesem Moment“, antworte ich ihr mit größerer Ehrlichkeit, als ich es sonst vermag, „ist mir alles andere lieber. Egal was!“

Unsere moderne Gesellschaft hatte schon immer eine schwierige Beziehung zu der nicht-romantischen Berührung. Gerade für Männer ist platonisches Anfassen richtig problematisch, wenn man es durch die Brille größerer Gruppen betrachtet. Soll ich meine männlichen Freunde umarmen, wenn ich sie treffe, oder ihnen bloß die Hand schütteln? Übertrete ich die Grenze des guten Tons, wenn ich eine Frau berühre, mit der ich nicht zusammen bin? Wie oft und in welcher Weise darf ich sie in der Öffentlichkeit anfassen, ehe ein Skandal daraus wird, auch wenn sie einverstanden ist? Was ist mit den Kindern meiner Freunde: Darf ich sie halten oder ein „High Five“ austauschen? Oder ist der Fakt, dass dabei meine Haut die ihre berührt, bereits Anlass für den Anfangsverdacht einer unaussprechlichen Straftat?

Diese Überlegungen machen deutlich: Wenn wir uns heute auf nicht-romantische Weise berühren, dann bewegen wir uns auf extrem unsicherem Terrain, dessen Oberfläche sich ständig weiter verändert. Berührungen, die gestern noch als offensichtlich sexuell motiviert gesehen wurden, können jetzt schon zur Etikette gehören und morgen entweder allgegenwärtig oder wieder verboten sein. Abgesehen von diesen teils schizophrenen Unsicherheiten rund um die platonische Berührung haben wir Menschen als Säugetiere einen tief verwurzelten, genetisch getriebenen Drang danach. Besonders für Primaten liegt die psychologische Wichtigkeit der Berührung in der Maslowschen Bedürfnishierarchie näher bei Nahrung und Wasser, als man denkt.

Kuscheln liegt in den Genen

In den 1950er-Jahren führte der berühmte Verhaltensforscher Harold Harlow eine Reihe von Experimenten durch, bei denen Puppen als Ersatzmütter für Rhesusaffenbabys eingesetzt wurden. Die Puppenmamis konnten alle ihren Nachwuchs „versorgen“, jede aber war aus einem anderen Material gefertigt. Manche bestanden aus Draht und Holz, andere waren mit weichem Stoff überzogen. Harlow fand heraus, dass jene Affenbabys, deren Ersatzmütter aus einem Material waren, das sie gern anfassen mochten, glücklich und psychologisch unauffällig aufwuchsen. Dagegen wuchsen die Babyaffen, die komplett ohne weiche Berührung oder deren billige Imitation groß wurden, zu unzufriedenen Wesen mit gewalttätigem Verhalten gegen sich und ihre Umwelt auf. Als ich von Harlows Forschungsarbeit las, stellte ich mir diese unberührten Äffchen als Teenager in schwarzen Goth-Klamotten und bleichem Make-up vor, die sich in ihren Zimmern verbarrikadieren, Evanescence hören und grottige Gedichte schreiben. „Du verstehst mich nicht“, schrie sie in meiner Fantasie ihren Puppenmüttern entgegen. Und: „Wäre ich doch nie geboren.“

In diesem Licht betrachtet, überrascht das Konzept des professionellen Kuschelns als Konsumgut kaum. Wenn menschliche Berührung ein urzeitliches Grundbedürfnis ist, dann findet unsere moderne Welt natürlich einen Weg, daraus eine Handelsware zu machen. Die eigentliche Überraschung ist also eher, warum erst jetzt jemand darauf kommt, den Unberührten das Geld aus der Tasche zu ziehen.

Die Kuschel-Kunden, mit denen ich gesprochen habe, sind, wenig verwunderlich, nicht gerade Männer, die man mit „Glück in der Liebe“ beschreiben würde. Die meisten von ihnen verdienten auch eher wenig Geld, knapsten davon dennoch jeden Monat genug ab, um sich eine Dosis Kuscheln leisten zu können. Und alle von ihnen gestanden mir im Vertrauen: Sie fühlten eine Verbindung und Nähe zu ihrer Bekuschlerin, die über das normale Verhältnis zwischen Dienstleister und Kunde hinausgeht. Irgendwann einmal, so ihre gehegte Hoffnung, wenn sie genug Sitzungen gekauft hätten, würden sie mit ihrer Bekuschlerin in den Sonnenuntergang reiten. Ich lächelte sie an, als sie mir von diesem sehnsüchtigen Traum erzählten. Beteuerte, dass ich ihnen das von Herzen wünsche. Ich wusste ehrlich nicht, was ich sonst hätte sagen sollen.

Beruf Profi-Kuschler

Ehe unsere Sitzung begann, versuchte mir Sam zu erklären, was sie an ihrem Job so reizt. Professionelle Kuschler, sagte sie, geben ihren Kunden das Gefühl bedingungsloser Liebe. Ich erinnere sie daran, während wir uns vom Seestern in die Grundposition des Löffelns bewegen. Als ihre Arme mich von hinten umschlingen, teile ich ihr meine Zweifel mit, dass jemand einen Service, für den er bezahlt, als bedingungslos ansehen könnte.

„Genau da liegst du falsch“, flüstert mir Sam mit ihrer Singsang-Kuschel-Stimme ins Ohr. „Geld ist bloß ein Weg, um Wertschätzung auszudrücken. Wenn ich meinen Kunden eine Sitzung berechne, dann zeige ich ihnen damit, dass ich sie mehr liebe als ihre Ehefrauen oder Freundinnen. Das ist die Bedeutung von Geld: Ich liebe dich mehr.“ Ich entgegne, ob sie das wirklich glaubt. Ob sie im Ernst lieber einen guten Freund hätte, der nur weiterhin mit ihr Zeit verbringt, wenn sie ihn oder sie stundenweise bezahlt. „Du grübelst zu viel“, sagt sie und beendet damit die Diskussion.

Und so liege ich also da, in den Armen meiner professionellen Kuschlerin und werde bedingungslos geliebt. Solange ich die Rechnung bezahlen kann. Ich habe keinerlei Zeitgefühl und weiß also gerade nicht, wie viele Minuten mir in dieser Sitzung wohl noch bleiben. Ich hoffe, es ist bald vorbei.

Hier wird auch gekuschelt:

thesnuggery.org
alle-kuschelpartys.de

(Anm. d. R.: Für die Seriosität der angebotenen Leistungen sowie auf diesen Websites gelisteten Events kann keine Haftung und Garantie übernommen werden!)

Der erfahrene US-Journalist R. Tod Kelly schreibt u. a. regelmäßig für „The Daily Beast“, „Newsweek“, „Marie Claire“, „NPR“, „The League of Ordinary Gentlemen“ und „Yahoo! News“. Mit Maud Kelly, mit der er nicht verwandt ist, entwickelt er gerade „The Golden Mean“, eine Radioshow, die kontroversen Journalismus, menschliche Erfahrungsberichte und spannende Kurzgeschichten zusammenbringen soll. R. Tod Kelly wohnt in Portland, Oregon, und wünscht sich, dass mehr Dinge im Leben aus Eiscreme und Whisky bestehen.

Foto: iStock.com/AleksandarNakic