Die Nächstenliebe eines Unternehmers: Interview mit Stefan Voelkel

Für Stefan Voelkel endet Flüchtlingshilfe nicht bei Spenden und der freigeräumten Couch. Der Geschäftsführer der Familien-Mosterei packte selbst an den Brennpunkten mit an und will für die Neuankömmlinge auch langfristige Perspektiven in seinem Unternehmen schaffen

Stefan Voelkel, wann und wie begann Ihr Engagement für Flüchtlinge?

Wir engagieren uns schon länger mit kleinen Projekten, im September 2015 aber hat mich die ganze Situation so betroffen gemacht, insbesondere die schlimme Situation auf Lesbos. Und dann habe ich den Elias Bierdel von der Menschenrechtsorganisation Borderline Europe kennengelernt.

Nachdem Sie durch ein „Anne Will“-Interview auf ihn aufmerksam wurden.

Ja, genau. Ich dachte sofort: Mensch, das ist es doch, nicht immer nur den Schmerz in der Brust haben, sondern was tun! Ich hab mich also mit ihm in Verbindung gesetzt, und er sagte: „Komm, komm runter zu uns, ich zeige dir alles.“ Einen Küstenstreifen von Lesbos bin ich mit ihm diverse Male rauf-und runtergefahren und habe Boote mit Flüchtlingen in Empfang genommen. Aber das war damals bei warmen Temperaturen. Ganz andere Zustände.
Dann sagte Elias zu mir: „Stefan, wir wollen hier ein Empfangslager aufbauen, so, dass die Menschen, die vom Ufer hochlaufen, sich erst einmal abtrocknen, einen Kaffee trinken und ein, zwei Nächte zu Kräften kommen können. Ehe sie weiter zum Hafen marschieren.“ Da sagte ich spontan: „Das finde ich super, das unterstütze ich!“ Geplant war eine stillgelegte Käserei als Basis.
Nach meiner Rückkehr habe ich hier alle verrückt gemacht, Container kommen lassen und mit Feldbetten, Notstromaggregaten und allem gefüllt, was man für den Start eines solchen Projekts dringend braucht. Gekauft habe ich das von über 20 000 Euro an Spenden. Natürlich habe ich viele Ausrüstungsteile von den Herstellern billiger oder auch mal umsonst bekommen. Das war eine richtig schöne Aktion.
Tja, und dann kam die Hiobsbotschaft aus Lesbos. Die Kommunalpolitiker oder die Rechten, wie auch immer, wollten Lesbos nicht zu einer „Flüchtlingsinsel“ machen und stoppten alle größeren Hilfsaktionen, auch unser Empfangslager. Man drohte uns sogar, es brutal zu zerstören, wenn irgendwer doch weitermacht.

Was ging Ihnen da durch den Kopf?

Wut ohne Ende, das muss ich schon sagen. Ich war schließlich auch vor Ort gewesen, hatte die leer stehenden Campingplätze gesehen, das ungenutzte Militärgelände mit alten Kasernen. Alles komplett abgeriegelt, während Flüchtlinge übereinander auf den Bürgersteigen übernachten mussten. Ich habe Bilder! Ach, wir kennen sie ja alle, diese Bilder. Solche unmenschlichen Zustände mit eigenen Augen zu sehen, ist etwas anderes. Und ob! Wegen dieser Bilder war ich ja zurück nach Deutschland, um das alles zu organisieren. Und dann kam die Hiobsbotschaft, kurz bevor wir den ersten Container losschicken wollten. Zum Glück haben wir den Inhalt immerhin sinnvoll vor Ort verteilen können, ans Rote Kreuz und andere Stellen, die Notleidenden helfen. Aber natürlich war das nicht das Gleiche wie unser geplantes Basislager. Wir wollten für die Menschen da sein, die unterkühlt, hungrig und entkräftet in ihren Booten an die Küste gespült worden waren. Doch man ließ uns nicht.

Direkt zu helfen, das ist Ihnen seit Längerem ein besonderes Anliegen.

Ich sage immer: „Was nützt es, wenn die Menschen ihrem guten Willen keine Taten folgen lassen können?“ Deshalb unterstützen wir seit zwei Jahren Missio, ein katholisches Hilfswerk, das in Syrien und im Irak wichtige Projekte umsetzt. Ein Teil der Umsätze unserer Fruchtpunsche kommt dieser Arbeit zugute.

Warum ist Ihnen das Engagement in der Flüchtlingshilfe so wichtig?

Das rührt wahrscheinlich daher, dass wir viele Anbau-Projekte im Ausland haben, nach Bio-, Fairtrade- und Demeter-Grundsätzen. Wo es möglich ist, fördern wir in diesen Regionen zudem soziale Einrichtungen wie Schulen und Kindergärten. Ganzheitlich zu denken, also Mitarbeitern und Zulieferern faire Preise zu zahlen, damit die Kinder in die Schule gehen können, das ist in unserer Firma seit Langem verankert.

Können Sie beschreiben, was Ihr Engagement Ihnen persönlich gibt?

Ganz ehrlich: Ich könnte gar nicht anders. Meine Mutter kam aus Königsberg und schaffte es mit dem letzten Schiff übers Haff. Viele von uns hatten in unseren Familien schon Flüchtlingssituationen. Wie könnten wir jetzt die Augen davor verschließen? Uns geht es, bis auf Ausnahmen, ich sage mal, megagut hier in Deutschland. Wenn jeder davon ein bisschen abgibt … Das ist das Gebot der Stunde!

Inwieweit teilen Ihre Söhne diese Ansicht? Und wie kam die Idee, auch Ihre Firma für Flüchtlinge zu öffnen, bei diesen an?

Meine vier ältesten Jungs sind auch in der Firma tätig. Jacob ist Betriebsleiter, der hatte bereits den Container für Lesbos organisiert. Und Boris war vor Kurzem auf der Balkan‐Route unterwegs und hat mehrere Tage in einem Flüchtlingslager mitgeholfen, um sich von der Situation vor Ort einen Eindruck zu verschaffen. Dafür habe ich ihm auch Geld mitgegeben, damit er Hilfsgüter einkaufen kann. Außerdem unterstützen wir hier in Dannenberg das Café Zuflucht. Und P.R.I.S.M., eine EDV-gestützte Flüchtlingshilfe, die Computer zur Verfügung stellt, on- und offline Deutschkurse anbietet, Kinderlernsoftware und wichtige Ämter-Websites in der jeweiligen Landessprache. Sehr wichtig ist und bleibt uns bei Voelkel, all jene Helfer zu unterstützen, die vor Ort ihre Zeit zur Verfügung stellen. Im Rahmen des Projekts „Helfern helfen“ versorgen wir sie mit unserer „BioZisch“-Limonade.

Wie wird auf Ihr Engagement reagiert?

Klar bekamen wir E-Mails mit Fragen wie „Und was ist mit den Obdachlosen?“ oder „Warum denkt ihr nicht an diese oder jene Gruppe?“. Daher spreche ich auch immer gern allgemein von Menschen in Not. Also nicht nur von den Flüchtlingen, die gleichwohl derzeit stark im Vordergrund stehen müssen. Prinzipiell aber erweitere ich das auf alle, die unverschuldet sozial benachteiligt sind. Aus diesem Grund sind Sie auch in der Kinderhilfe engagiert. Ja, wir unterstützen seit vielen Jahren Plan International. Die haben jedes Jahr neue, wirklich konkrete Projekte, die wir mit Spenden fördern. Die Brücke ist dabei unser Voelkel Kindersaft. Die üble Situation, in der sich die Jüngsten aber auch Jugendliche in vielen Ländern der Erde befinden, lässt mir wieder und wieder den Atem stocken.

Noch einmal zurück zu den Flüchtlingen. Um ihnen eine langfristige Perspektive in Deutschland zu geben, bilden Sie einige in Ihrem Unternehmen aus. Welche Hürden gab es dabei zu überwinden?

Sobald eine Aufenthaltsgenehmigung vorliegt, beginnt unser Part mit einem Praktikum. Wer seine ganzen Papiere vollständig hat, kann in der Saison durchaus auch richtig angestellt werden. Zunächst mit einem Zeitvertrag. Eine spezielle Ausbildung wie etwa Elektriker oder Ähnliches ist natürlich von Vorteil. Derzeit haben wir sechs Auszubildende und Praktikanten bei uns. Das Ziel ist, sie danach bei Voelkel behalten zu können. Die Kommunikation ist natürlich eine Aufgabe – ich sage bewusst nicht „Problem“ –, weshalb wir jeden Samstag einen Deutschunterricht eingerichtet haben. Kommen müssen sie natürlich von sich aus. Die nach einem Jahr zu erreichenden Sprachkenntnisse, also „Deutsch leicht“, „mittel“ oder „schwer“, werden wir wohl zukünftig in die Arbeitsverträge aufnehmen. Das setzt eine gewisse Eigeninitiative voraus, ist in der Produktion aber allein schon eine Frage der Betriebssicherheit.

Um das Deutschlernen zu fördern, setzen Sie diese Kräfte auch ganz bewusst in unterschiedlichen Schichten ein, richtig?

Ja, unbedingt. Damit keine reinen Flüchtlingsgruppen entstehen, sondern sie immer mit langjährigen Mitarbeitern im Einsatz sind.

Gab es Unmut von Kollegen?

Das zählt zu den weiteren „Aufgabenstellungen“. Insgesamt war die Zustimmung extrem hoch, aber es gab von 50 Mitarbeitern schon so ein oder zwei, die hinter vorgehaltener Hand gepöbelt haben. Dafür haben wir dann ganz klare Worte gefunden: „Wer keine wohlwollende Akzeptanz hinbekommt, kann sich einen neuen Job suchen.“

Was sind Ihre Zukunftspläne?

Für uns ist gesunder Boden ein echtes Anliegen, wofür wir mit unseren Bio-Anbauprojekten sorgen. So etwas wird man vielleicht auch in Krisenregionen realisieren können, wenn beispielsweise Syrien eines Tages wieder sicher ist. Wir fangen jetzt Projekte im Iran und in der Türkei an, damit die Menschen dort ein Auskommen und befriedigende Arbeit haben.

Ein Schlusswort, bitte.

Folgen Sie so oft es geht Ihrem Herzen – und helfen Sie, wo Sie können!

Fotos: Voelkel