Ihr Lieben, die erste Woche im Homeoffice ist geschafft. Das fühlt sich vermutlich für jeden von euch ganz unterschiedlich an. Für einige ist Arbeit von daheim der Normalfall, mit dem Unterschied, dass nun vielleicht noch der Partner oder die Kids dazugekommen sind. Für andere ist der Laptop auf dem Küchentisch eine echte Premiere, und es gab einigen Techniktrubel durchzustehen, ehe die Leitung zum Firmenserver stand. Wieder andere wurden vielleicht zur Kurzarbeit heimgeschickt oder, schlimmer, sind ihren Job erst einmal los. Ja, auch das gibt es bereits. Und da bin ich als überwiegend Schreibender noch einigermaßen gut dran, das ist mir absolut bewusst.
Was kommt? Keine Ahnung, das lese und höre ich genau wie ihr aus möglichst seriösen Quellen, jeden Tag aufs Neue. Was für Auswirkungen hat der Ausbruch des Corona-Virus auf uns alle: unsere Gesundheit, den Job, die Beziehung und Familie, unser kulturelles Leben, und zwar auch danach? Manches davon haben wir wenigstens ein Stück weit selbst in der Hand. Und diese kleinen Spielräume sollten wir nutzen, wo immer sie sich auftun und sowie wir davon erfahren.
Was ich aber auch gemerkt habe, und was ich hier gern mit euch teilen möchte: Ich darf mich nicht einfangen lassen in diesen Sog des frenetischen Aktionismus, der im Lockdown an die Stelle eines geregelt-stressigen Arbeitsalltags getreten ist. Ich muss die Info-Flut ebenso strikt dosieren wie die unzähligen gutgemeinten Ratschläge, Tipps, Services, Apps, Videos, Games und Links, die im Umlauf sind. Nicht zufällig macht schon das Phänomen der „Angst, nicht das meiste aus dieser Situation herauszuholen“ die Runde, zumindest in den USA („Fear of not making the most of this situation“).
Nach der Selbst-Quarantäne folgt für mich nun also ab und an die Stopp-Taste für allzu manisch-ehrgeizige Pläne, Aktionen und neue Rituale. Nicht, weil ich die Mühe, die sich auf Instagram und anderswo im Web alle damit geben, sondern weil mein Geist, mein Körper und meine Seele etwas Zeit brauchen. Ruhe, um diese traumatischen Ereignisse – und um nichts anderes handelt es sich – begreifen, sortieren, dazu eine Haltung und eine persönliche Strategie entwickeln zu können.
Die Corona-Krise ist nicht nur in China, in Italien oder im Iran weit mehr als bloß der Wechsel vom gewohnten Büro ins Homeoffice, vom Kundentermin in Person vor die Skype-Kamera, vom realen ins virtuelle Leben. Hier geht es nicht bloß um Tools, Hightech und wie man seine Pilates-Routine nun ja auch zu Hause beibehält. Nein, wir werden zudem im Sekundentakt mit etwas konfrontiert, was wir eben durch Arbeit bis zum Anschlag, den After-Work-Drinks, dem Netflix-Marathon und unserem Drang zur Selbstoptimierung immerzu – und absolut verständlich – zu verdrängen versuchen: der Zerbrechlichkeit unseres Daseins.
Alles scheint gerade fraglich, zur Disposition zu stehen. Unsere körperliche Gesundheit, das sonst so präzise Uhrwerk unseres Alltags, eine gewisse finanzielle Freiheit, die Lust, Pläne zu schmieden, Reisen zu unternehmen, ins Theater zu gehen. Einigermaßen sicher, das morgen so wird wie heute, höchstens besser.
Und das wird alles auch wieder so sein, da bin ich mir sicher. Aber bis es so weit ist, tut es mir und vielleicht ja auch euch gut, die temporäre Zwangspause nicht noch mit Lockdown-Stress zu füllen, mit den kreativen Projekten, die man doch jetzt endlich alle umsetzen könnte, dem Lernen von Gitarrenakkorden, dem Ausprobieren wiedergefundener Rezepte, mit #instastories im Stundentakt, mit Yoga auf YouTube, binge watching mit Freunden über Zoom, kurz: mit geradezu manischem Tun, Machen, In-Bewegung- und Im-Gespräch-Bleiben.
Bestimmt werde ich auch das eine oder andere angehen, wozu jetzt mehr Muße bleibt, beruflich wie privat, schließlich verlocken endlich Sonnenstrahlen zur Gartenarbeit. Doch zwischendrin möchte ich auch in mich reinfühlen, was diese Viruspandemie mit mir macht, möchte zulassen, wenn ich Angst verspüre, wenn mir die Krisenmeldungen den Atem rauben, wenn mir die Tränen kommen bei Bildern nächtlicher Transportkolonnen, die Verstorbene zu ihrer letzten, oft improvisierten Ruhestätte bringen, möchte mich ärgern und aufregen, wenn Menschen aus schierer Freude an Chaos, Leid und Zerstörung irreführende, fiese Unwahrheiten über Messaging-Dienste verbreiten oder Staatenlenker diese humanitäre Katastrophe für ihre Zwecke und zum Demokratieabbau nutzen.
In dieser brutalen emotionalen Achterbahn brauche ich manchmal wirklich aktive Ablenkung: ein Podcast, ein Mandala zum Ausmalen, einen Song von unserer Spotify-Playlist, eine Kollagen-Idee für Instagram, ein Buch aus der Enough-Bibliothek, einen Küchenschrank, der dringend aufgeräumt werden muss – oder eine Gassirunde mit unserem Hund.
Aber manchmal, da brauche ich einfach bloß Ruhe. Denn ob selbst an Covid-19 erkrankt oder nicht, ob direkt oder indirekt betroffen – dieser Virus geht uns nicht nur alle an, er verlangt uns auch mehr ab, als uns bewusst ist.
Geht also bitte, bitte behutsam mit euch um. Prüft, was euch jetzt guttut, wie viel Ablenkung ihr wirklich braucht und zu welchen To-dos oder Berieselungen ihr nur aus Gewohnheit greift. Nutzt so viele Momente wie möglich, um mehr über euch in der akuten Lage zu lernen und erste Grundsteine für euer und unser Leben nach Corona zu setzen.
Was soll wieder werden wie vorher? Was um Himmels willen nicht? Was wünschen wir uns? Wie wollen wir diese schweren Tage und Woche in konstruktive Pläne für die Zukunft, in positive Veränderungspower verwandeln? Wofür sollen die vielen, vielen Menschen, die das Virus trotz aller Anstrengungen nicht überlebt haben, gestorben sein? Für ein reflexhaftes Zurück zum Status Quo – oder für a better tomorrow?
Ich weiß nicht wie es euch geht, aber mit diesem Gedankengewirr im Kopf brauche ich ehrlich gesagt überhaupt keine Zerstreuung oder Katzenvideos. Damit bin ich komplett ausgelastet und motiviert. Passt auf euch auf und lasst gern von euch hören.